Interview mit Gabriele Schneidewind aus VORWÄRTS

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100 Jahre Frauenwahlrecht: „Es gibt noch viel zu tun.“

Auf dem Erfurter Parteitag 1891 verdeutlichte Clara Zetkin der Sozialdemokratie die Bedeutung des Frauenwahlrechts. In Zukunft war die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ein festes Anliegen der Sozialdemokratie in Deutschland. Damit war die SPD die erste Partei, die sich für das Wahlrecht von Frauen einsetzte. Bereits 1895 brachte August Bebel einen entsprechenden Gesetzentwurf im Reichstag ein – aber noch fehlte die Mehrheit. Am 30. November 1918 trat das neue Reichswahlgesetz in Kraft. Die Sozialdemokratie hatte sich durchgesetzt und Frauen bekamen fortan das ihnen zustehende Wahlrecht. Gabriele Schneidewind, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) in Mainz und stellvertretende Ortsvereinsvorsitzende der SPD Mainz-Bretzenheim erklärt im Interview, was das Frauenwahlrecht und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern für sie bedeuten.

Gabriele Schneidewind, Vorsitzende ASF Mainz

 

1. Vor 100 Jahren haben Frauen das Wahlrecht bekommen, was empfindest du bei diesem Datum?

Was ich das empfinde, drückt sich im Titel unserer bevorstehenden Veranstaltung aus: „Der Stolz der Frauen – Ein Dinner für hundert Frauen + X“. Das findet am 29. November statt. Und wir haben uns bewusst für eine Veranstaltung nur für Frauen entschieden, um uns als Frauen auch mal zu feiern. Und wir wollen auch feiern, was wir in den letzten hundert Jahren erreicht haben.
Was Gleichstellung angeht, ist jedoch Nichts vergleichbar mit der Errungeschaft des Wahlrechts.

2. Was sind aus deiner Sicht bedeutende Schritte der vergangenen Jahre hin zu mehr Gleichberechtigung?

Auf der strukturellen Ebene, also was Gesetze angeht, ist da natürlich die Quote bei den Aufsichtsräten bei großen Unternehmen. Es gibt das Entgeltgleichheitsgeset

z, das ist zwar nicht der ganz große Wurf inhaltlich, aber ein Punkt bei dem man noch ganz viel erreichen kann.
Es gibt viele Diskussionen und Änderungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – das ist zwar eher Familienpolitik, betrifft aber meistens Frauen und gehört damit auch zur Frauenpolitik dazu.

Die ASF Mainz feiert 100 Jahre Frauenwahlrecht

3. Wie würdest du die Fortschritte auf gesellschaftlicher Ebene beurteilen, also etwa das Rollenbild der Frau?

In der Rollenfrage ist in den letzen 30 Jahren unglaublich viel passiert. Das Selbstverständnis mit dem Frauen an der Gesellschaft teilhaben, ist ein ganz anderes als noch in den 70er und auch 80er Jahren.

4. Inwiefern? Was macht den Unterschied konkret aus?

Einen Punkt finde ich ganz besonders markant, der auch den Unterschied zu früher beschreibt: Heute wird das Wort Fräulein nicht mehr verwendet. Mit diesem Begriff wurden Frauen verniedlicht und stigmatisiert. Denn nur Frauen, die nicht verheiratet waren, wurden als Fräulein bezeichnet. Damit galt man gleichzeitig als nicht richtig angekommen in der Gesellschaft, denn man war ja nicht verheiratet und hatte keine Familie. Das entsprach nicht dem damaligen „idealen“ Bild einer Frau. Kein Mensch hat sich dafür interessiert, ob Männer verheiratet waren oder nicht. Es gab keinen Begriff wie Herrlein, sondern nur Herren. Das ist ein sprachlich sehr markanter Punkt, der zeigt, wie sich unsere Gesellschaft gewandelt hat.

5. Als Sozialdemokratin liegt dir das Thema Arbeit besonders am Herzen. Ist die Gleichberechtigung hier bereits durchgesetzt?

Nein. Es gibt noch viel zu tun. Aber: Es ist heute in weiten Teilen der Gesellschaft selbstverständlich, dass Frauen einer bezahlten Arbeit nachgehen. Bedenkt man, dass bis in die 70er Jahre der Mann seiner Ehefrau vorschreiben konnte, ob sie arbeiten durfte oder nicht: Dann ist das erstmal ein riesiger Fortschritt.
Es gibt positive Entwicklungen, aber auch viele Probleme, etwa bei der Teilzeitbeschäftigung und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Das Elternzeitgesetz hat viel positives gebracht, auch wenn die Männer nicht ausgewogen daran teilhaben. Dieses Gesetz hat bei der finanziellen Absicherung und Planbarkeit für Frauen als Arbeitnehmerinnen und für ArbeitgerInnen etliche Fortschritte gebracht.

6. Meinst du, die SPD hat in Sachen Gleichstellung in den letzen 20 Jahren die richtige Richtung eingeschlagen? Was könnte besser laufen?

Also, ehrlich gesagt ist unsere Partei in dieser Frage noch nicht progressiv genug. In der Großen Koalition hat man gemacht, was eben mit der Union möglich war. Aber ich würde mir wünschen, dass unsere Sozialdemokratie auch als Speerspitze der Gleichberechtigung auftreten würde. Die wirklichen Knackpunkte, was das Rollenverständnis zwischen Männern und Frauen angeht, die Quote in den Dax-Vorständen usw. – da fehlt mir manchmal die Power und die klare Richtung in unserer Partei.

7. Womit bist du besonders unzufrieden, was die Gesetzeslage angeht?

Es gibt für mich – neben etlichen anderen – zwei ganz wichtige Punkte: Das eine ist die Abschaffung des Ehegattensplittings. Das ist für mich eine Katastrophe, wenn man sieht, dass der Mehrverdiener davon profitiert und dass das im krassen Gegensatz zu unserem Eherecht steht, das vor etwa zehn Jahren geändert wurde.
Und der zweite Punkt: Um das Rollenverständnis nachhaltig strukturell aufzuweichen, müsste ein Gesetz geschaffen werden, dass die Elternzeit wirklich nur fifty-fifty genommen werden kann. Es gibt da bislang keine Diskussion zu. Ich weiß, dass ist ein realtiv radikaler Vorschlag. Aber darüber sollten wir immer wieder diskutieren.

8. Du bezeichnest dich selbst als Feministin. Was heißt das denn im Kern für dich?

[lacht] Ich bezeichne mich mittlerweile schon quasi als Alt-Feministin.
Das heißt für mich, dass ich bei allen Themen, die mich umtreiben – auch als Arbeitgeberin – immer schaue, dass ich die Interessen von Frauen immer zu hundert Prozent mitberücksichtige. Die erste Sache ist die Sprache. Ich gendere immer. Sprache ist Macht. Das müssen wir gar nicht diskutieren. Damit versuche ich, in Diskussionen, Beiträgen und in meinem engeren Umfeld Zeichen zu setzen. Ich denke immer darüber nach, bei allem was wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch passiert, welche Konsequenzen hat das für die Frauen und ihre Lebensumstände und was kann man daran verbessern. Das ist für mich, was ich unter Feminismus verstehe. Mir geht es nicht darum, Frauen vorzuschreiben, wie sie zu leben haben, sondern darum ihnen Wahlfreiheit für ihr Leben zu ermöglichen.

9. War das Frauenwahlrecht der wichtigste Schritt zur Gleichberechtigung in deinen Augen?

Es war mit Sicherheit ein Riesenschritt. Wenn man sich vorstellt, dass Frauen nicht wählen durften… mit welchem Recht? Ich habe den größten Respekt vor den Frauen, die vor hundert Jahren und weit darüber hinaus für unsere Rechte gekämpft haben. Natürlich steht und fällt alles mit der Möglichkeit zur Teilhabe am demokratischen Prozess.

10. Hast du Frauen als Vorbilder, die dich besonders beeinflusst haben?

Da gibt es einige: Aber ich möchte gerne ganz klar meine beiden Großmütter herausheben. Sie waren beide lange berufstätig und auch wenn sie niemals über Frauenpolitik nachgedacht haben, gaben sie mir doch alles andere als die klassische Frauenrolle mit auf den Weg.

11. Wie findest du es, dass wir mit Malu Dreyer die erste Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz haben?

Das finde ich großartig und muss zugeben: Ich bin auch ein kleiner Fan von ihr. Anders als unsere Bundeskanzlerin, die für Frauenthemen keinen Blick hat, bezeichnet sich Malu selbst als Feministin. Sie spricht in gendergerechter Sprache, war Frauenministerin in unserem Land und versteckt da nichts. Malu tut unserem Land sehr, sehr gut.

12. Was könnte in Mainz noch für Frauen gemacht werden?

Neben den strukturellen Fragen, die ich zum Teil bereits erwähnt habe, müssen wir Frauen uns vor Ort immer auch gegenseitig unterstützen. Wir sollten von Seiten der ASF aufmerksam sein und immer wieder versuchen, Frauen zu pushen und zu unterstützen, damit sie ihre eigenen Entscheidungen fällen, ihr eigenes Leben gestalten.